2020 war ein auch musikalisch schwieriges Jahr
Das kulturelle Leben darf nicht untergehen
Nachdem wir uns Ende Oktober entschliessen mussten, nach den Absagen im Frühsommer auch die für Anfang November geplanten Konzerte in Trogen und St.Gallen abzusagen, ebenso das Dreikönigskonzert in Degersheim, hatten wir uns rasch auf die neuen behördlichen Rahmenbedingungen eingestellt und das Appenzeller Kammerorchester in zwei Hälften - Kammerorchester Ost und Kammerorchester West - mit je just 15 Musizierenden aufgeteilt. Mit den neuerlichen Einschränkungen seit Mitte Dezember ruht die Probenarbeit nun bis Ende Januar 2021 ganz. Im Februar sind wieder Registerproben mit maximal je fünf Musizierenden geplant.
Werner Meier, Stimmführer der zweiten Geigen und Illustrator unserer viel beachteten Plakate und Programme, hat den Gang in den orchestralen «Winterschlaf» in zwei Cartoons dargestellt:
Eine Höhle voller Klänge und Melodien und dazu der Appell von Dirigent Jürg Surber an alle, nicht aufzuhören Musik zu machen: «Es geht nicht, dass das kulturelle Leben untergeht! Jetzt halt zu Hause und im kleinen Kreis, aber dafür umso inniger und kräftiger.»
Immerhin durfte zum musikalischen Ausklang des Jahres ein Septett aus den Stimmführerinnen und Stimmführern und je einer Verstärkung in den Violinen 1 und 2 die traditionelle Silvesterfeier in der Kirche Trogen mit Werken unter anderem von Arcangelo Corelli und Johann Sebastian Bach umrahmen. Ein versöhnlicher und gleichzeitig hoffnungsvoller Abschluss eines auch musikalisch schwierigen Jahres. Jetzt freuen wir uns auf Werner Meiers dritten Cartoon mit dem Wiederaufwachen!
Mit Musik Geschichte(n) erzählt
Lea von Mentlen trägt das Lied vom Guggisberger vor.
Zusammen mit dem Orchester, der Jazzband, dem Bläserensemble und dem Chor der Kantonsschule Trogen hat das Appenzeller Kammerorchester in den beiden Konzerten Ende März 2019 in Trogen und St.Gallen einen weiten musikalischen Bogen gespannt über den Atlantik, von der Alten in die Neue Welt. Antonín Dvořák hat diesem Bogen in seiner Symphonie "Aus der Neuen Welt" musikalisch Ausdruck verliehen. Anknüpfend an zwei Beiträge von Jazzband und Chor spielte das Orchester daraus den 2. Satz.
In den Liedern kam die Sehnsucht nach der Ferne zum Ausdruck, aber auch das Heimweh, der Schmerz der Auswanderinnen und Auswanderer aus Italien, Irland oder der Schweiz, die Heimat wohl nie mehr wieder zu sehen. Die beiden Sprecherinnen verknüpften die musikalischen Werke und machten den gesellschaftlichen und politischen Hintergrund deutlich, die wirtschaftliche Not der Auswanderer, aber auch die Verlockung, in Amerika Glück und Reichtum zu finden. So stiess etwa auch das Zäuerli auf den Blues; beide haben ihre Wurzeln in der Melancholie. Aus der Verknüpfung entstand Neues, auch musikalisch, neue Rhythmen. Etwa in der "West Side Story" von Leonard Bernstein mit "I like to be in America". Gospels und Spirituals drückten Lebensfreude aus, Melancholie dann wieder im Adagio von Samuel Barber, das auch schon als "traurigstes Musikstück der Welt" bezeichnet wurde.
Höhepunkt der Konzerte war George Gershwins "Rhapsody in Blue", am Flügel hinreissend gespielt von Agata Bukowska. Überhaupt überzeugten insbesondere die Solistinnen – alles Schülerinnen der Kanti – mit ihrem Engagement und ihrer Sanges- und Spielfreude.
Nachdem das Konzert in der Aula der Kantonsschule Trogen am Freitag eine besondere Nähe zum Publikum erlaubt hatte, war am Samstag abend das Konzert in der Tonhalle ein besonderes Erlebnis. Ein Saal, gebaut für die Musik, mit wunderbarer Akustik und wiederum ein begeistertes Publikum.
Der Aufwand für die Vorbereitung und für die Proben mit den verschiedenen Mitwirkenden war immens, aber er hat sich in jeder Hinsicht gelohnt. Herzlichen Dank allen Beteiligten!
Dazu die Tonspur, aufgenommen von Techniker Markus Brechbühl:
https://www.dropbox.com/s/hvva9tw90yftkby/2019_03_23_KantiTrogenKonzert_TonhalleSG.m4v?dl=0
"My green Valleys" - Auswandererlied aus Irland.
Die beiden Orchester gemeinsam, mit Jürg Surber am Dirigentenpult.
"Rhapsody in Blue" mit Agata Bukowska, Klavier.
Bilder: Herbert Senn
Schlussapplaus in der Tonhalle St.Gallen. Bild: Christian Fitze
"De Hammer!", "Ich fand das Konzert am Samstag eine ganz tolle Leistung aller Beteiligten", "Ihr habt da wahrlich alle Grosses vollbracht!" - drei begeisterte Stimmen zu den Konzerten "Aufbrechen!", zusammen mit dem Orchester, dem Chor und der Jazzband der Kanti Trogen. Der musikalische Bogen war weit gespannt und brachte alte und neue Welt zusammen. Die Singes- und Spielfreude der Kanti-Schülerinnen und -Schüler und insbesondere der Solistinnen war hinreissend.
Dazu die Tonspur, aufgenommen von Techniker Markus Brechbühl:
https://www.dropbox.com/s/hvva9tw90yftkby/2019_03_23_KantiTrogenKonzert_TonhalleSG.m4v?dl=0
IO Kammerorchester und Voci gemeinsam - intensive Probe am Wochenende im Kloster Ilanz.
Gespräch mit Jürg Surber zu seiner Komposition "Denn Leben und Tod sind eins"
Texte sind eine starke Quelle der Inspiration
Vom frühen Mittelalter bis ins Jahr 2018 reicht der musikalische Bogen der bevorstehenden Konzerte des Appenzeller Kammerorchesters. "Ein Lied für Solostimme, vierstimmigen Chor und Streichorchester", beschreibt Jürg Surber seine neueste Komposition, die aus diesem Anlass zum ersten Mal ertönt. Massgeschneidert gewissermassen für das Kammerorchester und das Vokalensemble Voci. Ein Werk, das berührt, musikalisch und durch den Text.
Er habe nie viel komponiert, erzählt der Dirigent des Appenzeller Kammerorchesters, "das war bisher kein zentraler Punkt meiner Identität als Musiker". Dennoch gebe es "eine schmale, aber kontinuierliche Spur von Kompositionen", wenn auch wenig davon in der Öffentlichkeit bekannt ist. Etwas von Grund auf erschaffen, was es noch nie gegeben hat, das fasziniere ihn: "Was ist die eigene Sprache, wie klingt die Musik, die ich in meinem inneren Ohr höre?"
Erste Notizen entstehen jeweils mit Bleistift in einem kleinen Büchlein mit Notenpapier, das sein ständiger Begleiter ist. Später setzt sich Jürg Surber ans Klavier, probiert – und korrigiert, probiert wieder. Den PC benutzt er erst nachher, um das Notenmaterial bereitzustellen. "Dabei entdeckt man auch immer wieder Fehler." So entsteht Schritt für Schritt ein ganzes Werk. Musikalisch bewegt sich Jürg Surber – ausser bei eigenen Improvisationen – (meist) in einem erweiterten tonalen Feld. Das hat auch damit zu tun, für wen er etwas komponiert. "Mich interessieren Klänge, welche hellhörig machen, die Mitwirkenden und das Publikum."
Bilder, die berühren
Beim Komponieren sind für ihn vor allem Texte eine Quelle der Inspiration. Das war diesmal nicht anders. Die Rede "vom Tode" aus dem Werk "Der Prophet" des libanesisch-amerikanischen Malers, Philosophen und Dichters Khalil Gibran (1883 – 1931) hat Jürg Surber an einem Konzert gehört. Die starken Bilder haben ihn berührt, haben ihn auch persönlich nicht mehr losgelassen. Als textliche Zusammenfassung gewissermassen des mit dem Appenzeller Kammerorchester geplanten Programms mit Musik zu Leben und Tod. Nicht von ungefähr hat er das kurze Stück für Kontrabass und Geige "Alter Stamm – abgeschnitten" vorangestellt, das er vor einigen Jahren aus Anlass des ersten Todestages seines Vaters geschrieben hatte. Während den Frühlingsferien entstand eine erste Skizze, hatte er am Text gefeilt, ihn auf ein paar Gedanken fokussiert. In den Sommerferien arbeitete er weiter, so dass schliesslich im September der Chorsatz fertig war. Für den Orchestersatz brauchte er dann doch noch die Herbstferien. "Es ist natürlich ein Privileg, dass ich nach der ersten Probe noch anpassen, kleine Schwächen beheben kann."
Aktuelle Tonsprache
Und was genau ist entstanden? Eigentlich ist "Denn Leben und Tod sind eins" ein Lied für Solostimme, vierstimmigen Chor und Streichorchester, charakterisiert Jürg Surber sein neustes Werk. Man könnte auch von einer "Mini-Kantate" sprechen. Das Lied greift in aktueller Tonsprache die Kombination von Einstimmigkeit in Anlehnung an die Gregorianik und Mehrstimmigkeit auf. Diese Mischform zwischen Einstimmigkeit und Mehrstimmigkeit ist eine Spezialität des – von Jürg Surber mitgegründeten - Vokalensembles Voci.
Nach den ersten gemeinsamen Proben von Chor und Orchester ist Jürg Surber zuversichtlich. "Wie es klingen wird, klingen soll, weiss ich natürlich schon vorher." Aber da ist doch eine Unsicherheit, wie sich die Noten singen lassen, wie das Zusammenspiel mit dem Orchester funktioniert. "Man ist in dem Zeitpunkt schon ziemlich exponiert, schliesslich steht alles schon im Programm." Darum ist er froh über die positive Resonanz und freut sich über die Offenheit der Mitwirkenden, sich auf etwas Neues einzulassen. Auch wenn das Zusammenspiel jetzt noch an Bedeutung, an Tiefe gewinnen muss – man spürt bei allen den Stolz und die Freude, etwas uraufführen zu dürfen. Das ist für alle etwas Besonderes.
Anita Dörler, November 2018